Falschnachrichten, Verschwörungsmythen und gefühlte „Wahrheiten“ im Zusammenhang mit Seuchen sind keine neuzeitliche Erscheinung. Tatsächlich sind Wellen sogenannter Fake News seit dem Mittelalter bekannt wie Protestbewegungen gegen Absonderung und Quarantäne seit jeher ständiger Begleiter einer Pandemie sind.

Erkennbaren Schwung hat der Widerstand gegen Pandemiemaßnahmen mit der Erfindung der Impfung durch den englischen Arzt Edward Jenner 1796 bekommen. Insofern markiert der Name Jenner eine Zeitenwende, wie auch einen bis dahin nie gekannten Protest. Gesteigert durch den folgenden Zwang zur Impfung wurden Ausreden, Behauptungen und Phantasmorgien immer absurder. Der amerikanische Ex-Präsident Trump reiht sich da in eine übel beleumundete Galerie des Absurden nahtlos ein. Bei Jenners Impfung gegen die Pocken hieß es etwa, sie verwandele Geimpfte in eine Kuh.

So gesehen hat sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts nicht viel geändert: Gestern Kuh, heute Mikrochips durch Bill Gates und Freunde.

Autor

Katrin von Philipp

Foto

Trump, Tijuana, east Mexico, 2018: Camilo‑J. Vergara: Library of Congress, fair use act

Datum

3. März 2022

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Katrin von Philipp

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Trump, Tijuana, east Mexico, 2018: Camilo‑J. Vergara: Library of Congress, fair use act

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3. März 2022

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ZGift, Massenvergiftung – in den Zeiten der Cholera-Pandemien im 19. Jahrhundert und darüber hinaus gab es verschiedenste Gerüchte, die jedwede Impfung und Vorbeugung ablehnten. Bezeichnend ist, dass diese besonders in der der Unterschicht kursierten. Besonders die sechste Pandemie in Europa im 19. Jahrhundert, konzentriert auf London, Hamburg und München, ließ die Ängste ins Kraut schießen:

Die Hygienezustände in den Arbeitervierteln waren seinerzeit in der Industrialisierung so desolat, dass Ärzte Desinfektionsmittel verteilten. Die verwendeten Substanzen wurden von den Bewohnern für Gift gehalten und die Seuche für eine Massenvergiftung. Mutmaßlich wolle die Obrigkeit die Armen ausrotten, hießt es.

Das Misstrauen wuchs immer mehr und führte zu massiver Gewalt und Morden an Obrigkeiten. Viele Verschwörungsmythen während der vorangegangenen Pestepidemienboten seit dem Mittelalter einen oder mehrere Sündenböcke auf, was sich bis heute nicht geändert hat.

Vor allem die jüdische Bevölkerung wurde für alles verantwortlich gemacht. Gewalt und Pogrome waren die Folge. In Zeiten der Unsicherheit ist entstehen immer Mythen, die eine komplexe Wirklichkeit vereinfachen, verdrehen und Schuldige ausmachen. Obendrein haben mysteriöse Geschichten einen hohen Unterhaltungsfaktor.

Die Pest, die im 14. Jahrhundert auf dem eurasischen Kontinent wütete, kostete in Europa vermutlich 25 und mehr Millionen Menschen das Leben, gut ein Drittel der Bevölkerung. Sicher belegt ist dagegen die Sterberate: 70 Prozent.

Im Kampf gegen die Pest gab es damals schon soziale Absonderung – ja nicht berühren. Ärzte trugen zum Schutz lange, schnabelartige Masken, sogenannte Pesthauben und untersuchten ihre Patienten mithilfe von langen Stäben. Sogar eine Art Corona-Warn-App wurde installiert, indem die Bevölkerung durch Aushänge und Statistiken informiert wurde, welche besonders stark betroffenen Orte zu meiden waren.

Damit sich die Seuche nicht ausbreitete, wurden wie heute Quartiere, Viertel, ganze Städte abgesperrt. Menschen, die potenziell mit der Pest infiziert waren, mussten Kontaktverbote einhalten. Man isolierte sie oft unfreiwillig für 40 Tage, aus dieser Zeitspanne leitet sich schließlich der Begriff Quarantäne ab.

Die Zwangsisolation geschah häufig auf grausame Weise, indem man Infizierte in ihre Häusern einmauerte. Ab dem 17. Jahrhundert waren Quarantäne und Absperrung durchgehend gängige Mittel zur Bekämpfung von Seuchen.

Vorbildfunktion: Schweres persönliches Schicksal erhöht Impfbereitschaft

Kaiserin Maria Theresia von Österreich konnte dagegen Ende des 18. Jahrhunderts die Impfung ins Feld führen. Die Bekämpfung der Pocken, unter ihrer Regentschaft ist ein Exempel für eine freiwillige Impfaktion.

Denn wer die hochansteckenden Pocken, nach der Pest die nächste Geisel der Menschheit, ohne Impfung überlebte, war gezeichnet von Narben – die eiternden, stinkenden Pusteln heilten schlecht. Viele Überlebende waren erblindet oder taub, behielten Hirnschäden oder Lähmungen zurück.

Rund ein Drittel der Erkrankten starben. Kaiserin Maria Theresia von Österreich selbst verlor drei ihrer Kinder an die Seuche, lag selbst schon auf dem Sterbebett. Sie überlebte wie durch ein Wunder. Als sie von der Impfung erfuhr, ließ sie ihre jüngeren Kinder impfen und richtete ein Impfzentrum für die Wiener ein.

Obwohl es damals auch schon Impfkritiker gab, führte Maria Theresia keinen Impfzwang ein. Aber erst, als der Engländer Edward Jenner begann, mit einem eitrigen Sekret zu impfen, das er aus einer Kuhpockenpustel entnommen hatte, kam der durchschlagende Erfolg. In Österreich-Habsburg fanden daraufhin mehrere Massenimpfungen statt. Durch eine hohe Impfquote konnte die extreme Sterblichkeitsrate von rund 30 % auf annährend 1,5 % verringert werden.

Eine hohe Impfquote trotz Freiwilligkeit, wie war das damals möglich? Motivation war sicherlich das für jedermann sichtbare Leid, das die hochinfektiösen Pocken verursachten. Und Maria Theresias persönliches, schweres Schicksal erhöhte vermutlich die Bereitschaft der Menschen, ihrer Regentin zu folgen.

Unter Kaiserin Maria Theresia zeigte der Einzelne Eigenverantwortung. Durch gesellschaftliche Beobachtung seien die Menschen dazu gebracht worden, ihren Verstand zu gebrauchen, sodass das Kollektiv insgesamt vernünftig agierte, so sinngemäß der Soziologe Nassehi in Folge 3 der „Corona Lectures“ an der LMU München mit dem Thema „Die infizierte Gesellschaft und die Unerreichbarkeit des Virus“.

Aus freien Stücken das Richtige tun,“ sei der Leitsatz einer solchen Politik, so Nassehi. Während der vorangegangenen Pestseuche im 14. Jahrhundert wurden dagegen mit spätmittelalterlicher Brutalität Kranke gegen deren Willen ausgegrenzt. Gewalt gegen die Obrigkeiten war die Konsequenz. Maria Theresia war hier ein Schritt moderner – ihre Maxime kann beschrieben werden als ein pädagogisch agierender Staat, der einem autoritären überlegen ist, da er nicht neue Konfliktherde schafft.

Hingegen war es in der jüngeren Geschichte offenbar nicht mehr ohne Weiteres möglich, eine Impfpflicht zu vermeiden. 1807 wurde in Bayern erstmals eine Pockenimpfpflicht eingeführt. Andere deutsche Flächenstaaten folgten. Eine stark ausgeprägte Impfskepsis machte die Pflicht notwendig. Durchgesetzt wurde sie vor allem von der Polizei. Noch in der Weimarer Republik wurden Kinder mit Polizeigewalt zum Arzt gebracht, um die Impfung durchzuführen.

Vielleicht auch deswegen entwickelte sich Ende des 19. Jahrhundert ein ausgeprägter Libertarismus, der die Rechte des Einzelnen betont und überhöht. Hunderttausende Impfkritiker formierten sich in Deutschland und anderen Ländern, um gegen die Impfpflicht zu kämpfen.

In der Zeitschrift „Der Impfgegner – Monatsschrift für praktische Volkswohlfahrt und naturgemäße Gesundheitspflege“, deren Leserschaft zu großen Teilen aus Anthroposophen und Naturheilkundlern bestand, wurden im Deutschen Kaiserreich Wirksamkeit und Unbedenklichkeit einer Pockenimpfung vehement bezweifelt.

Was die Nebenwirkungen betrifft, waren die Vorbehalte zum Teil berechtigt, allerdings war eine Pockeninfektion durch die Impfung auch um ein Vielfaches gefährlicher als Covid-19. Heute würden solche Impfrisiken nicht mehr als Gegenargument ins Feld geführt werden, dergestalt die Impfung gar die Selbstheilungskräfte des Körpers schwächt, so die Hauptargumentationslinie der damaligen Impfgegner. Desweiteren lehnten die damaligen Gegner einer Impfung als groben Eingriff in die Natur ab.

Die weltweite Impfpflicht gegen die Pocken folgte 1967 und endete 1976, initiiert von der WHO. Heute gelten die Pocken dank der Impfung als ausgerottet.