In Pandemie-Zeiten hört man vermehrt Berichte über ein mysteriöses Wundermittel: MMS. Es heilt angeblich Krebs, Autismus, Malaria, Aids und Covid-19. Alles auf einmal. Donald Trump empfiehlt es, die Leugnerszene empfiehlt es. Auf Facebook folgt eine riesige Anhängerschaft. Was steckt dahinter? Und warum fallen so viele Menschen darauf herein?

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Katrin von Philipp

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SLUB Dresden: Deutsche Fotothek: Hans Loos 1935, Foto von Rembrandt, Quacksalber seine Ware feilbietend, 1635

Datum

9. Februar 2022

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Katrin von Philipp

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Der Quacksalber: Franz Maulpertsch, Radierung 1784: SLUB Dresden: Deutsche Fotothek

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9. Februar 2022

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Neulich treffe ich zufällig einen alten Schulkameraden, der mir von seinem übergewichtigen, in die Jahre gekommenen Kater Pepe erzählt. Der leidet unter einer einer chronischen Magen-Darm-Reizung. Das arme Tier ist deswegen stark abgemagert. Weder der Tierarzt noch eine Ernährungsumstellung konnten in Pepes Fall etwas ausrichten.

Einige Monate später begegne ich meinem Freund wieder. Ich erkundige mich nach Pepes Befinden. Pepe gehe es nach wie vor nicht gut, berichtet er. Auch eine Behandlung mit Naturheilmitteln sei vergeblich gewesen. Er hätte aber am Tag zuvor einen vielversprechenden Tipp bekommen. Eine Facebook-Freundin hatte ihm ein Mittel namens Miracle Mineral Supplement, kurz MMS, empfohlen. Mit Hilfe dieses Heilmittels hofft er nun, seinen Kater von seinem Reizdarm kurieren zu können.

Mein Freund nimmt also eine mehrstündige Fahrt auf sich, um mit seinem Kater die Sprechstunde von Dr. Dirk Schrader zu besuchen, einem Hamburger Tierarzt, der für die Therapie mit MMS wirbt. Regelmäßig eingenommen, soll MMS das Leben verlängern. Mein Freund erzählt mir, dass der betagte Dr. Schrader jung und vital wirkt, wie das blühende Leben. Ein Zeichen für die Wirksamkeit von MMS?

Der Tierarzt erkundigt sich am Ende des Gesprächs auch nach der Gesundheit meines Freundes. Der erzählt dem Tierarzt daraufhin von seiner immer wiederkehrenden Nebenhöhlenentzündung. Das Mittel helfe auch gleich gegen die Sinusitis, meint Schrader – praktischerweise könne man MMS auch in der Humanmedizin einsetzen.

Das Rezept, das der Tierarzt ausstellt, ist übrigens nicht in der Apotheke einlösbar, sondern in einem Laden für Anglerbedarf. Ein kurioses Detail, das aber anscheinend nur mich stutzig macht.

Wundermittel gibt’s im Anglershop, nicht in der Apotheke

Als ich jenen „Dr. Schrader“ daraufhin google, finde ich kontroverse Aussagen. Er bezeichnet sich als Tierschützer. Doch seine Behandlungen von Kleintieren haben zu zahlreichen Anzeigen wegen Tierquälerei und nicht geeigneter Behandlungsmethoden geführt.

Wie wirkt MMS? Google spuckt weitere besorgniserregende Antworten aus: MMS ist giftiges, hochdosiertes Natriumchlorid in 0,3‑prozentiger Lösung, dem Zitronen- oder Milchsäure als Aktivator zugesetzt wird. Bei diesen Zugaben entsteht hochgiftiges Chlordioxid. Es wird normalerweise als Desinfektionsmittel vor allem bei Verkeimungen von Wasser oder als Bleichmittel verwendet, in den Vereinigten Staaten auch in der Landwirtschaft; das berühmt-berüchtigte „Chlor-Hähnchen“, Streitpunkt beim Freihandelsabkommen TTIP, rührt daher. Im deutschsprachigen Raum heißt es oft simpel Chlordioxidlösung, abgekürzt CDL.

International ist das angebliche Wundermittel allerdings nur unter dem Namen Miracle Mineral Supplement bekannt, der Namensbestandteil Chlor hätte dann wohl doch zu sehr an WC-Reiniger erinnert; es soll mutmaßlich so gut wie alle Krankheiten heilen, darunter Krebs, Aids, Malaria, Schizophrenie, Autismus, Demenz, Covid-19.

Pharmakologisch ist es alles andere als plausibel, dass ein einziges Medikament gegen so viele unterschiedliche Krankheitsbilder hilft. In der Wikipedia heißt es kurz und knapp: „Die Behandlung mit MMS wird als Quacksalberei eingestuft.“

Statt eines wissenschaftlichen Wirkungsnachweises ist sicher belegt, dass es in den von selbsternannten Experten empfohlenen hohen Dosen menschliches Gewebe verätzt. Übelkeit, Durchfall, Nierenversagen, Atemstörungen, lebensbedrohliches Nierenversagen sind typische Wirkungen. Mehrere Todesfälle kurz nach der Einnahme von MMS sind dokumentiert.

In Deutschland stuft das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte BfArM Miracle Mineral Supplement seit 2015 als zulassungspflichtig und bedenklich ein. Die Verbraucherzentrale konstatiert, dass es keine einzige wissenschaftliche Studie gibt, die eine positive Wirkung von MMS belegt.

Kindesmisshandlung aufgrund übertriebener Elitenskepsis gepaart mit Verschwörungsglauben

Vielmals wird im Zusammenhang mit MMS von kruden Behandlungsmethoden berichtet. So ist es alarmierend, dass Pseudoexperten Eltern dazu raten, ihren Kindern mit der Chlordioxidlösung Darmeinläufe zu verabreichen, um sie von Autismus zu heilen. Die Darmschleimhaut wird daraufhin ausgeschieden.

Die Ausscheidungen werden von „MMS-Beratern“ kurzerhand als Anzeichen von Parasitenbefall bezeichnet. Wiederum dringend empfohlenes Mittel gegen „die Parasiten“: MMS. Eine massive Schädigung des Darms ist die Folge. Kinderpsychiater stufen die „Behandlungsmethode“ als Kindesmisshandlung ein.

„MMS-Entdecker“ ist der US-Amerikaner Jim Humble, ein langjähriger Anhänger der Scientology-Sekte. Er entspricht dem Stereotyp eines Guru, gütig und weise, stets ganz in Weiß gekleidet mit weißem Tropenhut. 1996 heilte er laut eigener Aussage dank einer Eingebung Mitreisende, die an Malaria erkrankt sind, mit besagtem Trinkwasserdesinfektionsmittel.

Es befindet sich „zufällig“ in seinem Reisegepäck. Darauf gründet er eine Sekte, tauft kurzerhand die Chlorbleiche auf den Namen Miracle Mineral Supplement und erklärte sie zum Heiligtum. In den USA hält er vor Hunderten Anhängern Vorträge über die Heilkraft des Wundermittels.

Der 89-Jährige ist offenkundig zeit seines Lebens sehr kreativ gewesen, wenn es darum ging, Kapital aus verschiedenen Geschäften rund um das Bleichmittel zu schlagen. In der Dominikanischen Republik offeriert er Workshops und verkauft für vierstellige Summen Fantasietitel wie „Minister of Health“. Humble betreibt des Weiteren einen Verlag, der auch in Deutschland aktiv ist.

Vermarkter von MMS in Deutschland ist unter anderem der Wunderheiler, Impfgegner und Autor Andreas Ludwig Kalcker. Auch der besagte Veterinär Schrader ist ein bekannter Vermarkter von MMS, wenn auch lange nicht so aktiv wie Kalcker.

Doch wie vermarktet man langfristig ein wirkungsloses „Heilmittel“ mit schweren Nebenwirkungen? Da der Verkauf von MMS als Heilmittel illegal ist, wird es rund um den Globus auf vielen Online-Plattformen als Trinkwasseraufbereitung mit riesigen Gewinnspannen verkauft.

Doch auch auf andere Arten profitieren viele selbsternannte Experten von dem Hype, der derzeit durch die Pandemie zusätzlich verstärkt wird. Denn MMS wird auch als Mittel gegen Covid angepriesen.

Die Teilnahme an MMS-Workshops kosten oft hunderte Euro, Bücher zum Thema verstärken die Gewinngenerierung. Auch in den sozialen Medien ist MMS ein Thema und bringt Plattformen wie Facebook lukrative Klicks. MMS-Empfehlungen stammen dabei nicht nur von pseudoakademischen Beratern, sondern werden vor allem in Facebookgruppen weitergegeben, in denen sich tausende MMS-Anhänger austauschen. Die größte MMS-Facebookgruppe hatte über 34.000 Mitglieder. Sie wurde 2018 von Facebook gelöscht.

All diese Informationen bekommt man relativ leicht im Internet. Ein Achtklässler könnte das auch schon recherchieren. Ich frage mich, warum mein Schulfreund nicht auch auf die Idee gekommen ist, die „allheilende“ Substanz zu googeln.

Mach’ dir die Welt, wie sie dir gefällt: Wundermittel als Antidot gegen die Pharmaindustrie – so geht Gut gegen Böse heute.

Ich bin besorgt um Pepe-Katers ohnehin schon wacklige Gesundheit und rufe schließlich meinen Schulfreund an. Er hört aufmerksam zu, als ich von meinen Recherchen berichte.

Zu meinem Erstaunen ist er sich durchaus bewusst, dass in den Medien eindringlich vor MMS gewarnt wird. Er klärt mich auf, dass die Warnungen „fake“ seien und von der Pharmaindustrie gestreut würden. Deren Lobby nämlich setze alles daran, zu verhindern, dass sich MMS auf dem legalen Markt durchsetzt. Denn das Wundermittel, das nahezu jede Krankheit heilen könne, könne im Wettbewerb beispielsweise teure Krebsmedikamente überflüssig machen.

Ob er auch über die Machenschaften von Humble und Kalcker informiert sei, frage ich meinen Freund. Hinter dieser Art von „Alternativmedizin“ stecken doch auch finanzielle Interessen. – „Vielleicht“, stimmt er halbherzig zu, aber verglichen mit den Milliardenumsätzen der pharmazeutischen Branche seien das „kleine Fische“. Es ist eine Geschichte von David gegen Goliath.

Dagegen komme ich mit meinen Argumenten nicht an: Dass die Arzneimittelproduzenten viel Geld in sinnvolle Forschung stecken, dass unzähligen Patienten geholfen wird und dass sie eine Vielzahl von Arbeitsplätzen bieten, hält mein Freund für Propaganda. „Du unterschätzt deren mächtige Lobby, deine Denkweise ist naiv“, erwidert er.

Das Thema und die Sorge um Pepe lassen mich auch am nächsten Tag nicht los und ich versuche, an noch mehr Informationen zu gelangen, die ich dann meinem Schulfreund zukommen lassen will.

Ich stoße auf eine investigative Reportage über Ludwig Kalcker. Das Magazin Kontraste berichtet dort im Juni 2014 unter dem Titel „MMS, das Gegenteil von sanft“ über den „Spirit-of-Health-Kongress in Hannover, einer Tarnveranstaltung zur Vermarktung von MMS. Reporter des Rundfunks Berlin-Brandenburg hatten monatelang in dieser speziellen Alternativszene recherchiert und sich dazu als Interessenten ausgegeben. Dazu ließen sie sich von Ludwig Kalcker „beraten“. Natürlich nicht umsonst. Jedes „Beratungsgespräch“ ließ sich dieser mit 100 Euro bezahlen.

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Ein Reporter des rbb gab im Gespräch vor, dass ein Angehöriger an Darmkrebs leide. Kalcker riet, eine anstehende, dringende Operation zu verschieben und stattdessen MMS einzunehmen, das erfahrungsgemäß gut gegen Darmkrebs helfe.

Berichte über unseriöse Heilpraktiker oder Scharlatane, die lebensrettende Krebstherapien in Frage stellen, häufen sich. Manch verzweifelter und Orientierung suchender Patient glaubt lieber simplifizierenden, hoffnungsgebenden Heilversprechen als sich einer kräftezehrenden Chemotherapie oder chirurgischen Eingriffen zu unterziehen. Wenn schulmedizinische Behandlungen in solchen Fällen verzögert oder unterlassen werden, kommt es immer wieder zu Todesfällen, die man hätte verhindern können.

Dass MMS-Vermarkter Kalcker in besagtem Beratungsgespräch von einer Tumoroperation abriet, ist umso unverständlicher, da der angebliche Darmkrebspatient nicht einmal eine direkte Einnahmequelle darstellte.

Wunderheiler, Pseudoakademiker, Geschäftemacher – Typologie der Scharlatanerie

Dass Humble, Kalcker und Schrader selbst an ihre zweifelhaften Heilmethoden glauben, ist tatsächlich wahrscheinlich. Scharlatane, die selbst von ihrer „Lehre“ überzeugt sind, Überzeugungstäter, gelten als die gefährlicheren Quacksalber. Ihre „Heilsbotschaften“ sind eindringlicher und überzeugender als die von bloßen Betrügern.

Eine Gemeinsamkeit der meisten „Wunderheiler“ ist der scheinakademische Mantel. MMS wird mit Hilfe von Pseudowissenschaft verkauft: Angebliche Studien, Statistiken und chemische Formeln werden von Scheinexperten herangezogen, um die heilende Wirkung von MMS wissenschaftlich zu untermauern.

Die Chemikern und preisgekrönte Youtuberin Mai Thi Nguyen-Kim entzauberte MMS wiederholt mit fachlichen Fakten auf ihrem millionenfach geklickten Kanal.

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Sogar pseudowissenschaftliche Forschungsarbeiten zum Thema MMS sind im Umlauf. Andreas Kalcker wurde 2018 als „Forschungsleiter CDL“ des „Schweizer Zentrums für wissenschaftliche Forschung, Innovation und Entwicklung AG“ (SZWFIE) eingesetzt. Das Unternehmen war gegründet worden, um Chlordioxid als legales Medikament auf dem Pharma-Markt zu etablieren. Als „Berater“ wurde der besagte Hamburger Tierarzt Dr. Dirk Schrader engagiert.

Auf der Website des Unternehmens rief man zu Spenden für die angebliche Laborarbeit auf. Das mutmaßliche Labor des SZWFIE existierte aber offenbar nicht – Reporter der ZDF-Sendung Frontal 21 suchten die auf der Website angegebene Adresse auf und fanden: kein Labor. Wissenschaftliche Forschungsergebnisse wurden ebenfalls nie offiziell veröffentlicht.

Die Investoren des scheinbaren Forschunginstituts, das 2019 Insolvenz anmeldete, verloren insgesamt rund 450.000 Schweizer Franken.

Zeitweilig schmückte sich Kalcker mit gekauften Doktor- und Professorentiteln für „Biophysik“ und „Alternativmedizin“ – in Deutschland strafbar. Im Gegensatz zu Jim Humble, der sich wie ein Sektenführer inszeniert, gibt sich Andreas Kalcker akademisch. In Youtube-Videos sieht man ihn mit einem Arztkittel in seinem angeblichen Labor.

Allerdings hat er dabei all die üblichen Qualitäten, die ein Wunderheiler haben muss: Er spricht mit beruhigender Stimme und, langsam – auf viele Menschen wirkt er sicherlich charismatisch. Auf Fotos fällt sein hypnotischer Blick auf.

In Interviews vermeldet Kalcker immer wieder weitere „wissenschaftliche“ Erfolge. Auf Youtube kann man beispielsweise ein Video eines Gesprächs von 2014 ansehen. Vom „freien Journalisten“ und MMS-Anhänger Gunther Oberheide, der Kalcker weniger interviewt als Wortgeber ist, sind keine kritischen Fragen zu erwarten – dementsprechend entspannt wirkt Kalcker.

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Auf die Frage nach „mysteriösen“ Darmausscheidungen, die nach Einläufen mit MMS bei der Behandlung von autistischen Kindern, auftreten, schmunzelt er. Dann gibt er kund, dass inzwischen die – seiner Meinung nach ohnehin harmlosen – Nebenwirkungen wie Verätzungen, passé seien. MMS hätte nämlich inzwischen eine von ihm entwickelte, verbesserte Rezeptur und daraufhin einen neuen Namen bekommen: CDL – Chlordioxidlösung – oder englisch CDS. Kalcker gibt also seinem Allheilmittel einen neuen Namen – sozusagen einen Imagewechsel, das die schweren Nebenwirkungen vergessen machen soll.

Mit einer gewagten Theorie erklärt er die allheilende Wirkweise von CDL: Nahezu alle Krankheiten würden mit „Sauerstoffmangel in der Mikrozirkulation“ und einer „Übersäuerung des Körpers“ einhergehen. CDL könne beides kurieren.

Und die Lobeshymnen gehen weiter: Kalcker spricht von CDL als einer der „größten Entdeckungen der Menschheit – auch wenn es einige nicht wahrhaben wollen“. Oberheide erzählt von seinen persönlichen Erfahrungen mit der Substanz: Er hätte sich, nachdem er über den Darm „Pathogene“ ausgeschwemmt hätte, „irgendwie frischer und freier“ gefühlt.

Der wohlwollende Interviewer drückt gegenüber Kalcker obendrein sein Bedauern darüber aus, wie unfair Kalcker und seine Kollegen Schrader und Taufertshöfer von den Reportern der öffentlich-rechtlichen Medien behandelt werden. Er spielt auf die Sendung „Kontraste“ an, die kritisch über die MMS beziehungsweise CDL-Szene berichtete.

Kalcker gibt sich an dieser Stelle souverän:

Einerseits ist kein Fachwissen bei den Journalisten vorhanden, andererseits geht es darum, Geld zu verdienen. Nach 12 Minuten Primetime-Sendezeit sind da mal eben 50.000 Euro über den Tisch gewandert. Mittlerweile ist es mir egal. Diese Herren haben ihre Meinung – ich habe meine Fakten. … Das geht von den Redaktionsleitungen aus, die das Geld der Pharmaindustrie aus der Werbung brauchen.

Dass MMS noch mehr ins Licht der Öffentlichkeit rückte, ist übrigens dem ehemaligen US-Präsidenten und MMS-Fan und Corona-Verharmloser Donald Trump zu verdanken. Der empfahl seinen Landsmännern und ‑frauen 2020 MMS als Mittel gegen SARS-CoV‑2. Er animierte zudem Wissenschaftler, Möglichkeiten zu prüfen, mit Covid-19 infizierten Menschen das Bleichmittel zu verabreichen und so die Pandemie zu bekämpfen.

Ein Unternehmer hatte daraufhin Trumps Aussage als Werbebotschaft genutzt. Die US-amerikanische Justiz verurteilte den Mann, weil er das Bleichmittel als Mittel gegen Covid-19 über eine fiktive Kirche verkaufte. Weltweit gab es mehrere Verurteilungen von Laienheilern und MMS-Verkäufern.

Während der Pandemie hörte man auch in Europa immer wieder von Chlordioxid-Missbrauch im Kampf gegen Covid. Über den Fall Biacsics beispielsweise wurde in vielen Medien berichtet. Johann Biacsics galt als Wortführer der Impfgegner in Österreich. Er erkrankte an Covid, verweigerte aber jegliche schulmedizinische Behandlung. Stattdessen therapierte er sich selbst – mit MMS. Biacsics starb schließlich an Covid.

Wenige Wochen zuvor hatte er noch lautstark gegen die Impfung protestiert. Auf seinem YouTube-Kanal propagierte er Chlordioxid und zeigte, wie man die Lösung selbst fabrizieren kann. Dabei verbreitete er das häufigste, inzwischen wohlbekannte Narrativ der Szene: Um Gewinne zu sichern, würden die großen Pharmakonzerne lügen und Patienten billige Heilmittel vorenthalten, um sie krank zu halten.

Der Laie in Sachen Virologie Kalcker, wie sollte es anders sein, wirbt in Zeiten der Pandemie mehr als je zuvor für das Miracle Mineral Supplement oder CDL. Dabei nutzt er geschickt die Ängste der Menschen aus. Mit dem Slogan „Corona ist besiegt worden“ und seinem Buch „Bye bye Covid“, das beispielsweise der rechte Verschwörungstheoretiker und Esoteriker Jo Conrad seinen Anhängern empfiehlt, bedient er seine Zielgruppen in deren Filterblasen.

Unter anderem wurde er vom bekannten Journalisten und Verbreiter von Fake News Ken Jebsen interviewt. Kalcker bietet weiterhin hochpreisige Seminare an und unterstützt erneute Bestrebungen, die Behandlung durch MMS wissenschaftlich zu untermauern. Er war 2020 in pseudomedizinische Behandlungsexperimente mit Chlordioxid als Mittel gegen COVID-19 involviert, die als „Anwendungsbeobachtungen“ in Spanien und Kolumbien dokumentiert wurden. Angeblich wurden diese in einem medizinischen Behandlungsprotokoll erfasst. 

Eine Behauptung, die sich leicht widerlegen lässt, die in Deutschland zudem rechtswidrig ist: Anwendungsbeobachtungen sind gesetzlich nur bei zugelassenen Medikamenten vorgeschrieben und Chlordioxid ist als Arzneimittel nicht zugelassen. Es könnte theoretisch aufgrund der schweren Nebenwirkungen nur in sehr niedrigen Dosen und unter der Aufsicht einer Ethikkommission verabreicht werden.

Die Voraussetzungen, um ein Behandlungsprotokoll zu erstellen, waren ohnehin nicht erfüllt. Die Initiatoren der „Forschungsarbeit“ sprachen zudem fälschlicherweise von einer „WHO-Studie“, obwohl nachweislich keinerlei Verbindung zur Weltgesundheitsorganisation existierte.

2020 verfasste Kalcker über besagte „Studie“ ein pseudowissenschaftliches, orthografisch mangelhaftes Schriftstück mit dem Titel „Chlordioxid gegen Coronavirus: ein revolutionärer, einfacher und effektiver Ansatz“. Eine von vielen Kritikern gestellte Frage berücksichtigte Kalcker in seinem Schriftstück nicht: Warum Chlordioxid selektiv nur das Virus schädigen soll, aber keine Körperzellen, blieb in der „Studie“ unbeantwortet.

Kalcker drohen aufgrund der fälschlichen „Anwendungsbeobachtung“ im Falle einer Verurteilung in Argentinien 25 Jahre Haft für Verbrechen gegen die öffentliche Gesundheit. Ein Vergehen, für das er in Spanien bereits einmal verhaftet worden war.

In Argentinien steht er im Verdacht, verantwortlich für den Tod eines fünfjährigen Kindes durch eine Vergiftung mit MMS und für mindestens einen weiteren Todesfall zu sein. Er war mutmaßlicher Rädelsführer eines MMS-Händlerrings, die das Mittel gegen Covid-19 vertrieb. Bei mehreren Haussuchungen im Umfeld der Händlerrings wurden nicht nur etliche Fässer mit Chlordioxid-Lösung und hohe Summen Bargeld gefunden, sondern auch Nazi-Devotionalien und ‑Literatur.

Bei dieser Fülle an leicht zugänglichen Fakten, die die Gefährlichkeit von MMS samt ihren Vermarktern belegen, erstaunt es mich, dass er immer noch an die Heilkraft des sogenannten Wundermittels glaubt. Dass die Pharmaindustrie hinter all diesen warnenden Medienberichten steckt, ist für meinen Schulfreund nach wie vor die plausiblere Erklärung.

Woran liegt es, dass es so viele Menschen gibt, die auf solche Heilsversprechen hereinfallen, frage ich mich. Einerseits sind es wohl kranke Menschen, die sich verzweifelt an jeden Strohhalm klammern – hier nährt ein Wunschdenken den Glauben an die Heilskraft. Störende Gegenbeweise werden ausgeblendet.

Im Video des MMS-Propagandisten Gunter Oberheide belegen Kommentare diesen Umstand. Es sind erschreckende Zeugnisse, in denen Krebspatienten im Endstadium den Gebrauch von MMS bezeugen.

Zum anderen steckt hinter dieser Quacksalberei ein tiefes Misstrauen gegen Obrigkeiten: In diesem Fall die „böse Pharmaindustrie“. Ganz bewusst entscheiden sich viele sich lieber für alternativmedizinische Angebote, die persönlicher, menschlicher sind. Es ist ein leiser Protest gegen die Schulmedizin, die als Machtinstrument begriffen wird.

Immerhin hat sich die Darmreizung von Pepe etwas gelegt. Mein Freund ist jetzt davon überzeugt, dass es das Wundermittel war, das dem Kater geholfen hat.

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