Still und heimlich strahlt das System Orbán ins benachbarte Rumänien aus. Weil jede Autokratie mit der Kontrolle von Medien beginnt, hat nach ettlichen gestürzten Regierungen durch aufgedeckte Korruptionsskandale Regierungschef Ciucă, ein Ex-General, Management und Finanzierung staatlicher Medien unter Regierungsaufsicht gebracht, urteilt Reporter ohne Grenzen.
Indes haben in Rumänien auch etablierte, private Medien über die Parteienfinanzierung Staatsbezug. Daraus ist eine Art kaschierte Parteipresse und bei Journalisten innere Zensur durch Willfährigkeit entstanden. Anders als Ungarn will sich die immer stärker werdende Zivilgesellschaft in Rumänien mit den Erbhöfen und Verwerfungen der Nachwendejahre aber nicht abfinden.
Das defekte Mediensystem ist längst nicht mehr unter sich. Ihm ist in spendenfinanzierten Investigativplattformen ein Korrektiv erwachsen, dass bei der vierten Gewalt als Wächter der Demokratie einen Wachwechsel eingeleitet hat und en passant damit eine Zivilgesellschaft stärkt, die nicht mehr bereit ist, sich mit der unvollständigen Demokratie (The Economist) abzugeben. Man darf nicht hinter die Errungenschaften der vergangenen Jahre zurückfallen, lautet ein ungeschriebenes Motto dieses Korrektivs. Eindrücke aus einem Medienland, das zusehends zu einem Labor gegen populistische Umtriebe wird.
Roger Pârvu
Wikipedia Commons: Fortepan: a Szabad Sajtó háza, a volt Scânteia-ház – Haus der Presse, Bukarest, 1964.
3. April 2023
Redet man von der vierten Gewalt im Staat oder dem Wachhund der Demokratie, so bezieht man sich auf die Presse in ihrer Gesamtheit: Gemeint sind Druck, Funk, Online mit ihrer Aufgabe einerseits Kontrollinstanz der Politik, andererseits verantwortlicher Mitgestalter der öffentlichen Meinungsbildung zu sein. Zugleich sollen journalistische Medien eine Brücke zwischen Interessen und Bedürfnissen von Wählern und von ihnen gewählten Vertretern sein. Was passiert aber, wenn Informationen nur noch eine Rrichtung kennen, der Wähler nur noch Empfänger, aber nicht mehr Sender ist?
In einer derartigen Situation können wir sagen, dass der Wachhund an die Leine gelegt wurde und er seiner Bestimmung nicht mehr gerecht werden kann. Manchmal, da der Hund der Leine vielleicht doch entkommen könnte, wird ihm auch noch ein Maulkorb angelegt, damit er zwar kläffen, aber nicht beißen kann.
Die Gratwanderung, welche die Presse hierzulande, in Rumänien, machen muss, ist bei weitem keine einfache. In einer digitalbestimmten Welt, in der jeder seine eigene Wahrheit in die Welt hinausposaunen kann und darf, sollte Presse eine vermittelnde Instanz zwischen Politik und Öffentlichkeit sein. Doch Medien, und dazu gehört privat verstanstaltete Presse, sind auch Wirtschaftsunternehmen. Jeder gesunde Menschenverstand wird akzeptieren, dass der Kampf um das wirtschaftliche Bestehen von Medien für diese selbst oft im Vordergrund steht und wird seinerseits keine jungfräuliche Haltung erwarten.
Dieses vitale Eigeninteresse von Medien am eigenen Fortbestand darf aber nicht jede Zurschaustellung wie im Schaufenster des Rot-Licht-Millieus rechtfertigen, wo jeder Freier für Geld seine nach Lust und Laune tanzende Presse einkaufen kann.
Finanzierung mit Tricks: Der rumänische Medienmarkt
Seit Dezember 1989 ist die rumänische Presse einen weiten Weg gegangen. Von Ion Cristoius Huhn, welches lebendige Küken gebärt, bis den Recherchen von Cătălin Tolontan zu Hexipharma 2016 – einem Pharmaskandal und nicht zuletzt der von Emilia Șercan aufgedeckten Plagiatsfall um den Ministerpräsidenten Nicolae Ciucă heutzutage; war der Weg des rumänischen Investigativjournalismus gewunden, manchmal holprig und steil. Er erlaubt aber bis heute keine Rückkehr in alte Strukturen.
Der rumänische Medienkonsument lernte in dieser Zeit Begriffe wie Pressefreiheit, Recht auf Information, objektive Berichterstattung. Er weiß aber inzwischen auch, was Einflussnahme und Informationsverweigerung sind. Und er weiß, was ein Kompromat ist. Dieser Begriff aus dem KGB-Jargon und seine Technik hat sich bis heute gehalten, wenn es um kompromittierendes Material geht, um politische und wirtschaftliche Gegner kaltzustellen. Trotzdem bleibt das, was man heutzutage unter dem Begriff Media literacy versteht, der geübte und kritische Umgang mit medialer Information, im Gesamtbild der rumänischen Gesellschaft eher eine Seltenheit.
In der heutigen rumänischen Medienlandschaft gehören gedruckte Zeitungen der Vergangenheit an. Printmedien bewegen kaum noch das Zünglein an der Wage: Die höchste Auflage hat dem Statistikportal Brat zufolge die Tageszeitung Libertatea mit einer täglichen Auflage von 22.088 Exemplaren, gefolgt von der Tageszeitung der Rumänischen Orthodoxen Kirche, Ziarul Lumina, mit einer täglichen Auflage von 21.986. Die Zahlen gelten für die Zeitspanne April bis Juni 2022. Dafür gibt es mehr als 20 landesweite Nachrichtensender, die von jedem Kabelanbieter unterhalten werden. Die wichtigste Informationsquelle bleibt in Rumänien der Fernseher, wobei dieser bei der jüngeren Generation durch das Internet ersetzt wird. Rumänien liegt damit voll im europäischen Trend.
Wie überall auf der Welt müssen sich auch in Rumänien Medien auf dem Markt behaupten. Die Frage nach dem finanziellen Überleben ist zentral. Werbung allein reicht nicht aus, um auf dem Medienmarkt zu bestehen. Die eher niedrigen Marktanteile der Nachrichtensender erschweren die Aufgabe einer Refinanzierung, was aber noch längst nicht bedeutet, dass sich die Nachrichtensender vor dem Aus befinden.
Ob die Finanzierungslücke eine Berechtigung zur Alimentierung aus Parteimitteln über Umwege rechtfertigt, welche durch die rumänische Gesetzgebung verboten ist, wage ich zu bezweifeln. Dabei handelt es sich nicht um parteieigene Mittel, sondern um Gelder der öffentlichen Hand, welche an die Parteien zur eigenen Finanzierung ausgeschüttet und von diesen weitergeleitet werden. Diese staatliche Förderung ist in den letzten Jahren um ein Vielfaches gestiegen.
Partei macht Presse – Einblicke in ein defektes Mediensystem
Am 14. September 2022 veröffentlichte die Investigativplattform Recorder eine Recherche mit dem Titel „Der Preis des Schweigens. Eine Untersuchung der Buchhaltung der Parteipresse“ (Prețul tăcerii. O investigație în contabilitatea presei de partid). Die drei Autoren, Victor Ilie, Mihai Voinea und Cristian Delcea, machen sich darin auf und „folgen dem Geld“, um zu verstehen, inwieweit die Mächtigen die Tagesagenda des Nachrichtenflusses bestimmen und wie dabei die wichtigsten Medienkonzerne aus Parteimitteln finanziert werden.
Über den komplizierten Weg, der dabei eingeschlagen wird – die Gelder fließen über mehr oder weniger direkte Wege an die Medienunternehmen – sei an dieser Stelle nicht die Rede. Viel besorgniserregender ist die Reaktion der Medienvertreter selbst. Wenn sie überhaupt auf die Fragen der Reporter antworteten, dann nur gemäß dem rumänischen Sprichwort: „Weder habe ich Knoblauch gegessen, noch stinkt mein Mund“.
Hier aber wirft die Recherche des Recorder-Teams eine wichtige Frage auf: Wenn die wichtigste Informationsquelle des rumänischen Wählers sich in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den Geldern von Parteien befindet, inwieweit kann sie dann noch ihrer Aufgabe gerecht werden und den Zuschauer unvoreingenommen informieren?
Die rumänische Gesetzgebung erlaubt es Parteien nur während Wahlkampagnen Sendezeit zu bezahlen, wobei diese als solche ausgewiesen werden muss. 2019 und 2020 sollen laut dem Rumänischen Zentralen Wähleramt mehr als 22 Millionen Euro von den Parteien an die Medienkonzerne während Wahlkampagnen ausgezahlt worden sein. Der rumänische Politiker befindet sich aber bekanntereweise in einem immerwährenden Wahlkampf.
Also wurden Mechanismen entwickelt, um die Tagesagenda auch außerhalb des gesetzlichen Rahmens zu beeinflussen. So erklärt sich einerseits die Erhöhung der staatlichen Parteiförderung, die sie sich selber Jahr für Jahr genehmigen, andererseits der Geldfluss, der die Mehrheit der Sender „gefangen“ hält.
Anstatt dem Medienkonsumenten – welcher rund um die Uhr mit Breaking News bombardiert wird – eine Auswahl relevanter Informationen anzubieten, werden ihm nicht nur viele Informationen vorenthalten, sondern angebotene in einer Weise glattgezurrt, die der dafür zahlenden Partei und ihrer Vision genehm ist. Rechnet man noch das im Allgemeinen niedrige mediale Bildungsniveau in Rumänien hinzu, entsteht damit die ideale Voraussetzung für eine verzerrte Realitätswahrnehmung, wie sie sich am stärksten in den Zeiten der Covid-19-Pandemie durch unterschiedlichste Verschwörungstheorien und Misstrauen gegenüber staatlichen Einrichtungen bemerkbar gemacht hat.
Zwei Fronten stehen sich gegenüber
Ob in diesen Fällen von Fake News gesprochen werden kann oder nicht, ist eine breite Debatte. Dazu schreibt der deutsche Kolumnist Sascha Lobo in seinem Buch Realitätsschock:
„Fake News und Verschwörungstheorien töten. Das ist die Feststellung, die zu allererst getroffen werden muss, denn die Debatte darum erscheint zerfasert. Auch weil Fake News kein einheitlich verwendeter oder definierter Begriff ist. Man versteht darunter sowohl brandneue wie auch uralte Medienereignisse. Dazu zählen Propaganda, Lügen, Zeitungsenten, Satire, simple Fehler, veraltete Informationen, inzwischen widerlegte Vermutungen, schwer oder gar nicht Überprüfbares, Zuspitzungen, weitergehende Interpretationen und subjektiv legitime Verkürzungen. Zudem benutzen autoritäre Akteure Fake News als Kampfbegriff, um die freie Presse zu delegitimieren.“
Damit landet man zwischen den rumänischen Medienfronten. In den letzten 20 Jahren haben sich in Rumänien mehrere alternative Onlinepublikationen entwickelt und behaupten können, die mittels tiefgreifender und langwieriger Recherchen Korruption in all ihren Facetten und Erscheinungsformen aufdecken. Nicht selten bewegen sich deren alternative Recherchen in direkter Konfrontation zu den traditionellen Medien und ihrer Mischung aus Verschweigen und Schönfärben. Und die reagieren.
Dieser Kulturclash der Öffentlichkeitsanbieter kann nicht zuletzt durch die unterschiedlichen Finanzierungsformen rumänischer Medien erklärt werden. Als Beispiel dazu können die Hetzkampagnen dienen, wie sie gegen Emilia Șercan – die sich durch das Aufdecken unzähliger Plagiaten von Politikern einen Namen gemacht hat – und gegen Valeriu Nicolae – der sich mit der Analyse der Lebensläufe von Politikern und derer Verwandte beschäftigt –, lanciert wurden..
Indes stehen diesen freien Medien finanzstarke Kolosse gegenüber. Erwähnt sei hier nur der Kampf zwischen dem kirchenkritischen Blog Să Fie Lumină – Es werde Licht – und dem Patriarchat der Rumänischen Orthodoxen Kirche. Es bedurfte eines dreijährigen Prozesses durch diese Investigativplattform, um besagtes Patriarchat zu zwingen, Daten zur Nutzung öffentlicher Gelder gemäß Gesetz 544, welches den Zugang zu Informationen von öffentlichem Interesse regelt, freizugeben.
Um das Bild zu vervollständigen, muss man nur einen Blick in den jährlichen Bericht der weltweit tätigen Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen werfen. In deren Rangliste zur Pressefreiheit 2022 belegt Rumänien Platz 56 von 180. Dort heißt es vernichtend:
„Viele rumänische Medien sind mehr den Geschäftsinteressen und politischen Verbindungen ihrer Eigentümer verpflichtet als dem Gemeinwohl. Politische Einmischung und Selbstzensur sind verbreitet. Wichtige Medien schrecken nicht vor systematischer Desinformation zurück, um die Justiz zu schwächen oder Proteste gegen Korruption zu delegitimieren.“
Im Vergleich zu 2021 ist Rumänien im Ranking um acht Plätze gesunken und wird unterdessen von Staaten wie der Republik Moldawien, Burkina Faso oder Armenien überholt.
Die Jugend und ihre Lektion
Presse sollte sich selber als Schnittstelle zwischen Zivilgesellschaft und Politik verstehen. Erst von dieser Warte aus darf sie den Schutz ihrer Freiheit von beiden Seiten beantragen.
Im deutschsprachigen Raum wird zwischen der äußeren und der inneren Pressefreiheit unterschieden. Die äußere bezieht sich auf die externen Faktoren, die Einfluss auf die Medieninhalte und die Berichterstattung ausüben könnten. Die innere hingegen hat die finanziellen Interessen von Inhabern, Verlegern, Chefredakteuren, Redaktionsleitern und anderen im Fokus.
Dieses zweite Standbein der Pressefreiheit hat ein wichtiger Teil der rumänischen Presse scheinbar freiwillig aufgegeben. Bis diese institutionalisierte Presse den Weg von innerer Zensur und vorauseilendem Gehorsam zurückfinden wird, bleibt In Rumänien nur die alternative unabhängige Presse die einzige vertrauenswürdige Informationsquelle, da die meisten dieser Medien es sich zum Vorsatz gemacht haben, keine Gelder der öffentlichen Hand anzunehmen. Die meisten rumänischen Alternativmedien finanzieren sich durch Spenden und können deswegen nur als Onlinemedium erscheinen.
Eine Lanze soll auch für die sogenannten Faktenchecker hier gebrochen werden. Zwar hilft der von Google angebotene Fact Check Explorer Rechercheuren ungemein, dennoch stecken auch mit dieser Unterstützung hinter Projekten wie Misreport und Geeks For Democracy viele Stunden freiwilliger Arbeit, die zu einer Genesung der rumänischen Medienlandschaft beitragen.
Als Medienkonsumenten sind wir Teil des Informationskrieges, der auf den unterschiedlichsten Ebenen seit mehreren Jahren ausgetragen wird. Den Medien zu entsagen, ist nur eine andere Weise zu sagen, wir haben die Flinte ins Korn geworfen. Rumänien braucht nicht nur mündige Politiker und eine aktive Zivilgesellschaft, sondern auch eine wahrhaftig unvoreingenommene Presse.
Letztendlich ist es unser Informationsverhalten, welches die zukünftige Entwicklung der rumänischen Medien, traditioneller oder alternativer Art, bestimmen wird. Ein Beispiel können uns hier die jungen Generationen liefern, die sich längst nicht mehr auf ein einziges Medium festnageln lassen wollen. Sie eignen sich die vorhandenen Möglichkeiten in einer Art und Weise an, die diese letztendlich komplett verwandeln und sich dann zu eigen machen. Dazu schreibt Sascha Lobo in seinem schon zitierten Buch:
„Die Generation Z, die in diesem Jahrtausend Geborenen, ist im Durchschnitt bei neun verschiedenen Social Networks angemeldet und verwendet fünf bis sechs davon aktiv (USA 2017). Verschiedene Gruppen und soziale Zusammenhänge werden über unterschiedliche Netzwerke angesteuert, im schnellen Wechsel, je nachdem, was momentan als hip gilt. Dieses Verhalten ist das derzeit bestfunktionierende Mittel gegen digitale Monopole. Es reduziert die Abhängigkeit von einzelnen Digitalkonzernen erheblich. Manchmal dreht es die Abhängigkeit sogar um und die Plattform ist gezwungen, sich um die Nutzer zu bemühen, denn die haben eine echte Auswahl, kennen echte Alternativen. Das taugt hervorragend als Gegenwehr…“
Insofern kann es mit der rumänischen Medienlandschaft, den Zahlen von Reporter ohne Grenzen zum Trotz, nur aufwärts gehen.